Nachbesetzung eines Vertragsarztes in einer BAG

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Die Klägerin ist Mitglied einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG), die aus zwei Fachärztinnen für Chirurgie besteht, die beide mit einem vollen Versorgungsauftrag...

Die Klägerin ist Mitglied einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG), die aus zwei Fachärztinnen für Chirurgie besteht, die beide mit einem vollen Versorgungsauftrag vertragsärztlich tätig sind. Ebenfalls mit einem vollen Versorgungsauftrag in dieser BAG war vom 1.7.2011 bis zu seinem Tod am 19.5.2015 ein Facharzt für Chirurgie (F) tätig.

F hatte in den Quartalen I/2012 bis IV/2014 Fallzahlen zwischen 1 (IV/2014) und 132 (II/2014), im Mittel ohne das Quartal IV/2014 76. Die Durchschnittsfallzahlen der Fachgruppe lagen zwischen 786,85 und 703,13. F erwirtschaftete Honorare zwischen 3483,91 € und 13,22 € im Quartal bei Durchschnittshonoraren der Fachgruppe zwischen ca. 47 000 € und 40 000 €. Fehlzeiten aus gesundheitlichen Gründen des F waren der KV für die Zeit vom 1.10.2014 bis 30.9.2015 gemeldet. Die Fallzahlen der gesamten BAG entsprachen in den Quartalen III/2014 bis III/2015 etwa dem Dreifachen (2159) der durchschnittlichen Fallzahl eines Arztes der Fachgruppe in den Quartalen I/2012 bis IV/2014 (761,55).

Der Zulassungsausschuss lehnte wegen der "unzureichenden Teilnahme" an der vertragsärztlichen Versorgung von F die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens für einen vollen Versorgungsauftrag ab und stimmte lediglich der Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens eines halben Versorgungsauftrags zu.

Voraussetzung für die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens ist jedoch das Bestehen einer fortführungsfähigen Praxis. Wenn auf Arztsitzen oder Arztstellen eine Versorgung nicht fortgeführt werden kann, weil kein Praxissubstrat mehr vorhanden ist oder alle Ärzte gekündigt und die Praxisräume abgegeben worden sind, fehlt einem Nachbesetzungsverfahren die innere Rechtfertigung.

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG kann die Ausschreibung und Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes in einer Einzelpraxis nur so lange erfolgen, wie das Praxissubstrat noch vorhanden ist Für eine BAG gilt entsprechend, dass eine Anknüpfung an die gemeinsam ausgeübte Tätigkeit noch möglich sein muss.

Weil typischerweise die Arztpraxis nicht veräußert werden kann, wenn der Erwerber den mit ihr verbundenen Sitz nicht erhält, bedarf es der Zulassung des Erwerbers. Nicht der Vertragsarztsitz, sondern die Arztpraxis ist veräußerbar. Wo keine Praxis mehr existiert, kann auch keine Nachbesetzung des ihr zugeordneten Vertragsarztsitzes mehr stattfinden. Diese würde ansonsten lediglich der Kommerzialisierung des Vertragsarztsitzes dienen, die vom Gesetzgeber nicht gewollt ist.

Eine vertragsärztliche Tätigkeit setzt den (Mit-)Besitz von Praxisräumen, die Ankündigung von Sprechzeiten, die tatsächliche Entfaltung einer ärztlichen Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen sowie das Bestehen der für die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit im jeweiligen Fachgebiet erforderlichen Praxisinfrastruktur voraus. Für eine BAG gilt entsprechend, dass eine Anknüpfung an die gemeinsam ausgeübte Tätigkeit noch möglich sein muss. Wenn es an all dem fehlt, existiert auch keine Praxis mehr, die fortgeführt werden könnte.  Für die Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen einer "Fortführung" der Praxis gegeben sind, ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die Nachbesetzung beantragt wird.  Für die Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen einer "Fortführung" der Praxis gegeben sind, ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die Nachbesetzung beantragt wird.

Die Genehmigung der gemeinsamen Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit bewirkt, dass die Partner ihre Leistungen unter einer gemeinsamen Abrechnungsnummer gegenüber der zuständigen KV abrechnen können; die BAG tritt dieser dementsprechend wie ein Einzelarzt als einheitliche Rechtspersönlichkeit gegenüber. Auch nach Einführung der lebenslangen Arztnummer, die eine Zuordnung jeder einzelnen Behandlungsmaßnahme zu einem bestimmten Arzt ermöglicht, wird die BAG weiterhin als Einheit betrachtet. Die Behandlung eines Patienten in einem Quartal durch verschiedene Mitglieder der BAG stellt sich als ein einziger Behandlungsfall dar.

Aus dieser einheitlichen Betrachtung folgt auch, dass die gesamte vertragsärztliche Infrastruktur der BAG und nicht einzelnen ihrer Mitglieder zuzuordnen ist. Da die BAG die personellen und sächlichen Mittel vorhält, die zum Betrieb einer Praxis gehören, könnte ein Nachfolger in der BAG jederzeit seine Tätigkeit aufnehmen. Für Patienten ist während des Bestandes der BAG erkennbar, dass am Praxisstandort Versorgung stattfindet. Da es gerade charakteristisch für die BAG ist, dass die Person des Behandlers wechseln kann, stellt ein Mitgliederwechsel die kontinuierliche Versorgung auch aus der Perspektive der Patienten nicht in Frage. Es kann offenbleiben, ob und in welchen Fällen die Fortführungsfähigkeit einer vertragsärztlichen Tätigkeit in einer BAG daran scheitern kann, dass bestimmte Mindestanforderungen an die Ausstattung und die Auslastung einer Praxis nicht erfüllt werden. 

Die Anknüpfung an die BAG als Ganzes zur Beurteilung der Fortführungsfähigkeit der Praxis steht nicht im Widerspruch dazu, dass Träger der vertragsärztlichen Zulassung nach § 95 Abs. 2 und 3 SGB V der einzelne Arzt und nicht die BAG ist. Anders als das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) hat die BAG keinen eigenen Zulassungsstatus, ihr statusrelevanter Bescheid ist die Genehmigung nach § 33 Abs. 2 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV). Die Rechtsprechung des Senats hat indessen den Status in verschiedener Hinsicht dem Zulassungsstatus des Arztes angenähert. Die Berücksichtigung der Interessen der Partner einer BAG im Nachbesetzungsverfahren, § 103 Abs. 6 S 2 SGB V, ist danach selbst dann geboten, wenn die BAG vorrangig mit dem Ziel gegründet wurde, Einfluss auf die Nachbesetzung eines frei werdenden Vertragsarztsitzes zu nehmen. Wenn zum maßgeblichen Zeitpunkt eine BAG besteht, müssen die Zulassungsgremien im Rahmen der Nachbesetzung daran anknüpfen. Entsprechend müssen sie grundsätzlich eine Nachbesetzung mit einem vollen Versorgungsauftrag ermöglichen, wenn die Zulassung eines Arztes mit einem vollen Versorgungsauftrag geendet hat oder beendet werden soll. Diese Anknüpfung an den jeweils bestehenden Status entspricht der vom Senat stets angenommenen Bindung an zulassungsrechtliche Statusentscheidungen, von denen nur im Verhältnis zwischen der KÄV und ihrem Mitglied unter bestimmten Voraussetzungen abgesehen werden kann.

Die dargestellte Rechtsauffassung des Senats hat nicht zur Folge, dass die KV auf Dauer hinnehmen müsste, dass ein in einer BAG tätiger Arzt seiner Versorgungsverpflichtung tatsächlich nicht nachkommt. Soweit ein Vertragsarzt seinen Versorgungsauftrag tatsächlich nicht oder jedenfalls über einen längeren Zeitraum nicht annähernd im Umfang seiner Zulassung wahrnimmt, besteht die Möglichkeit der Zulassungsentziehung wegen Nichtausübung, § 95 Abs. 6 S 1 SGB V. Dies gilt auch für die Mitglieder einer BAG. Zwar ist für sie typisch, dass ihre Mitglieder vorübergehend oder auch dauerhaft nicht in gleichem zeitlichen Umfang in der gemeinsamen Praxis tätig sind. Die vertragsärztliche Tätigkeit in einer BAG wird häufig gerade gewählt, weil innerhalb der Kooperation flexibel auf wechselnde Lebenssituationen reagiert werden kann. Um aber einen Missbrauch dieser Gestaltungsmöglichkeiten zu verhindern, indem etwa eine BAG reine "Zählmitglieder" aufnimmt, um eine übermäßige Ausdehnung der vertragsärztlichen Tätigkeit zu verdecken, muss ein Vertragsarzt kontinuierlich in nennenswertem Umfang an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen. Seit der Einführung der lebenslangen Arztnummer kann dies ohne Weiteres von der KV nachvollzogen werden. Der zulassungsrechtliche Status kann indes nur in dem dafür vorgesehenen Verfahren entzogen, nicht aber in einem anderen Verfahren in Frage gestellt werden.

BSG, Urteil vom 27.06.2018, B 6 KA 46/17 R

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