Umsatzsteuerbefreiung von ärztlichen Haarwurzeltransplantationen

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Eine von einem Dermatologen durchgeführte Haarwurzeltransplantation zur Behandlung der androgenetischen oder hereditären Alopezie ist – anders als im Fall der Behandlung der narbigen Alopezie - keine von der Umsatzsteuer befreite Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin, da ...

Eine von einem Dermatologen durchgeführte Haarwurzeltransplantation zur Behandlung der androgenetischen oder hereditären Alopezie ist – anders als im Fall der Behandlung der narbigen Alopezie - keine von der Umsatzsteuer befreite Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin, da sie weder der Heilung noch der Behandlung der Ursachen des Haarausfalls dient und es daher an dem Erfordernis einer therapeutischen Zielsetzung der Maßnahme fehlt. 

Nach einem Urteil des FG Düsseldorf stellen Haarwurzeltransplantationen zur Behandlung der androgenetischen und hereditären Alopezie keine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin i. S. von § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG und Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der MwStSystRL dar. Es fehlt insoweit jedenfalls an einer therapeutischen Zielsetzung im engeren Sinne. Dennoch ist die Diagnosetätigkeit des Haarchirurgen umsatzsteuerfrei. 

Nach der Rechtsprechung des EuGH umfasst der Begriff „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ Leistungen, die der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen. Eine Heilbehandlung in diesem Sinne müsse daher zwingend einen therapeutischen Zweck verfolgen, da dieser ausschlaggebend dafür sei, ob eine ärztliche oder arztähnliche Leistung von der Mehrwertsteuer zu befreien sei. Das Erfordernis einer therapeutischen Zielsetzung einer Leistung sei dabei nicht unbedingt in einem besonders engen Sinn zu verstehen. So könnten etwa auch medizinische Leistungen, die zum Schutz, einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung, der menschlichen Gesundheit erbracht würden, unter Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der MwStSystRL fallen. 

Speziell zu sog. ästhetischen Operationen und Behandlungen hat der EuGH entschieden, dass (auch) Leistungen, die dazu dienen würden, Personen zu behandeln oder zu heilen, bei denen auf Grund einer Krankheit, Verletzung oder eines angeborenen körperlichen Mangels ein Eingriff ästhetischer Natur erforderlich sei, unter die Begriffe „ärztliche Heilbehandlungen“ oder „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ i. S. der MwStSystRL fallen könnten. Wenn der Eingriff jedoch zu rein kosmetischen Zwecken erfolge, falle er nicht unter diese Begriffe. Die rein subjektive Vorstellung, die die Person, die sich einem ästhetischen Eingriff unterziehe, von diesem Eingriff habe, sei dabei als solche für die Beurteilung, ob der Eingriff einem therapeutischen Zweck diene, nicht maßgeblich.  

Die nach der EuGH-Rechtsprechung erforderliche Feststellung, welche Zwecke mit ärztlichen Leistungen verfolgt würden, sei in vielen Fällen, bei denen sich die Zielsetzung bereits aus der Leistung selbst ergebe, unproblematisch. Anders verhalte es sich im Bereich ästhetisch-chirurgischer Maßnahmen, die sowohl Heilbehandlungszwecken als auch bloßen kosmetischen Zwecken dienen könnten. Im Bereich ästhetisch-chirurgischer Maßnahmen komme es daher auf eine Einzelprüfung an. 

Übertragen auf den Streitfall folgt hieraus, dass die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung in Bezug auf die Behandlung der androgenetischen Alopezie durch eine Haarwurzeltransplantation nicht vorliegen. Der Senat vermag sich der Einschätzung des klagenden Facharztes für Chirurgie, dass es sich bei der Haarwurzelverpflanzung um eine therapeutische Maßnahme zur Behandlung einer Krankheit handele, wenn die androgenetische Alopezie zumindest die Ausprägung BASP M3, C2–3, V3 und U1–3 bei Männern und BASP F1–2 bei Frauen erreiche, nicht anzuschließen. 

Der Senat hält es bereits für zweifelhaft, ob es sich – wie vom Kläger vertreten – bei der androgenetischen Alopezie um eine Krankheit oder um einen körperlichen Mangel handelt. Zwar wird diese Auffassung u. a. in dem vom Kläger vorgelegten Gutachten sowie in den ebenfalls vorgelegten Aufsätzen und Lehrbüchern vertreten. Wie etwa dem Urteil des BGH vom 26. 9. 2002 (Az.: I ZR 101/00) entnommen werden kann, sind andere Gutachter aber zu einer gegenteiligen Einschätzung gelangt. Auch in den Internet-Enzyklopädien Wikipedia und Pharma-Wiki wird die androgenetische Alopezie nicht als Krankheit, sondern als „normale Erscheinung des Älterwerdens“ (Wikipedia) oder als „normale Variante, die in der Bevölkerung häufig vorkommt“ (Pharma-Wiki“) eingestuft. 

Letztlich kann die Frage, ob es sich um eine Krankheit handelt, aber dahingestellt bleiben, da es jedenfalls bei einer Haarwurzeltransplantation an der von EuGH und BFH geforderten „therapeutischen Zielsetzung“ fehlt. 

Die für die androgenetische Alopezie dargestellten Grundsätze gelten nach Auffassung des Senats auch für die hereditäre Alopezie. In beiden Fällen wird durch eine Haarwurzeltransplantation weder auf die Ursachen des Haarausfalls eingewirkt noch liegt der Hauptzweck dieser Maßnahme in dem Schutz der Gesundheit. 

FG Düsseldorf, Urteil vom 16.06.2021, 5 K 2710/17 U; Revision eingelegt: XI R 17/21 

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